ungesund photographie | lucas garte

wirkungsprovokation.

Serie: Roadtrip Belgien

Kilometer 1180: Charleroi

Fertig fotografiert ging’s dann weiter unbekannte Landstraßen entlang. Mal kurvig, mal ewig schnurgerade – im Mittel war es also wie aus Deutschland bekannt, wobei die Landstraßen des heutigen Tages durchaus immer entweder kurvig oder gerade waren, und das dann auch immer extrem.

Irgendwo im Ort Walcourt, in dem ich zufällig gelandet war,

Immer online.

angehalten, das Büro ausgepackt – vielleicht ist ja etwas spannendes Verlassenes in der Gegend. So war dem dann laut Karte auch – eine Fabrik, gleich in der Nähe. Sah zwar erst interessant aus, wurde aber leider-zum-Glück von einer Baufirma nachgenutzt. An einem Werktag also eher nicht zu besichtigen.

Von dort aus gings dann 15 Kilometer weiter zur nächsten Adresse. Es sollte ein verlassenes Bauernhaus sein. Kleines Dorf, dann abbiegen in eine Feldweg-Sackgasse, einzelnes Haus am Wegesende – alles passte, nur leider begrüßte mich vor dem frisch sanierten Haus ein bellender, eher nicht tiefenentspannter Hund. Gut für das Haus, schlecht für mich. Und die Rosendornen, die ich mir dann aus den Socken zupfen durfte, taten auch weh. Warum ich eigentlich immer lange Funktionshosen trage, ist mir bei der Annährung an dieses Anwesen noch bewusster geworden.

Etwas entnervt, dass denn gar nichts offen war, gings dann belgische Waffeln kauend zur letzten Adresse für heute. Ein leerstehendes Hotel, etwa 25 Kilometer entfernt. Da ich nur große Kartendatenbanken habe, aber meist keine weiteren Informationen zu den Orten, kann ich nur auf gut Glück hinfahren – und so eben meist enttäuscht werden.

Was nicht sein soll, soll nicht sein – mein Navi meldete sich spät, ich habe eine abbiegende Straße übersehen und bin geradeaus weitergefahren. Statt mir zu empfehlen, an der nächsten Parkbucht zu wenden, schlägt mir die eingebaute Erna eine Alternativroute vor: meinetwegen. Also gings die falsche Straße weiter, bis ich auf einem Feld-Wald-Weg fuhr. Soweit noch kein Problem, denn der Weg war eben. Das änderte sich aber.

Über eine halbe Stunde durfte ich also mit Tempo <15 die Geländegängkeit meines Golfs unter Beweis stellen. Der Waldweg wurde zu Schotter, Schotter wurde zu Schlaglöchern, die wurden

Mitten im Wald

Auch noch freundlich – bis hier hin keine Schlaglöcher.

tiefer, und irgendwann waren sie dann mit Wasser voll. Da man nicht mehr ausweichen konnte, gabs also nur noch eine Option: erster Gang und langsam durch. Seeeehr langsam. Der irgendwann entgegenkommende SUV-Fahrer muss seinen Spaß mit dem Anblick gehabt haben, einen blauen Golf mit Standard-Langstrecken-Fahrwerk auf so einer “Straße” zu sehen. Laut Navi aber immerhin eine Straße. Ich habe in diesen Minuten das Vertrauen in den Kasten teilweise aufgegeben. Und lenke künftig einfach um.

Weder die Situation auf dem Waldweg, noch das danachfolgende Dorf konnte man fotografisch so festhalten, dass ein Fremder nachvollziehen kann, wie es dort ist – man muss dort gewesen sein und den lokalen Kontext haben. Ansonsten sehen die Fotos zu normal aus. Jenes Dorf erinnerte unfreiwillig an das Spiel Minecraft – etwa fünf sichtbare Häuser mit Natursteinfassade, eine Kirche in der Mitte, ringsrum Feld und dazu ein Briefkasten. Wann leert den eigentlich jemand?

Weiter ging es über schlechte, aber immerhin asphaltierte Straßen, um schließlich endlich wieder auf einer N-Straße zu sein – das muss in Belgien so etwas ähnliches wie unsere Bundesstraßen sein. Teilweise landstraßenartig, teilweise durch die Städte – meist aber beides. Diese N-Straßen sind eigentlich auch immer gut ausgebaut.

Das Hotel der Begierde war erreicht und sicher leer. Dreistigkeit siegt – direkt davor parken, einmal drumherum gehen und hinten mit offener Tür empfangen werden. Ich stehe also im Hauswirtschaftsraum neben der alten Waschmaschine und sehe vor mir eine große Wäschemangel; der Raum daneben ist voller Müll – die Treppe nach oben auch. Wenn ich alleine bin, gehe ich meist erst ohne Kamera in die Gebäude, nur um zu schauen, ob ich alleine bin und ob es überhaupt lohnenswert ist. Letzteres ließ sich hier nach Besichtigung bis ins erste Obergeschoss verneinen.

Durchaus hellhörig war ich bei einem leichten schleifenden, rhythmischen Geräusch im Inneren – als ob jemand mit Pantoffeln über Teppich zieht. Ich suchte die Stelle, von der es kam – verortete es erst durch die Decke übertragen, fand dann aber den Erzeuger: ein Schmetterling, der sich verfangen hatte. Das Erdgeschoss war eine abgebrochene Baustelle; überall Baumaterial, aber nichts vollendet. Und das dürfte alles schon lange so stehen. Im gelb tapezierten Obergeschoss war leider alles ausgeräumt. Nur die Betten waren übrig geblieben, selbst die Telefone und Schreibtische weg. Damit war mein fotografisches Interesse eher gering und ich machte mich auf den Rückweg. Fraglich nur, wohin eigentlich.

Geschlagene 20 Minuten habe ich auf dem ehemaligen Hotelparkplatz geparkt, bevor mir mein Handy mitteilte, dass mein Roaming-Inklusiv-Volumen bald aufgebraucht sei. Eine Erinnerung an mich, mal den Roamingvertrag auf “EU Basis” umzustellen.

Airbnb konnte in der Nähe nichts brauchbares finden, oder zumindest nichts, was den Bewertungen nach über einen einwandfreien Zustand verfügte. Einer der Anbieter, die nicht allzu weit weg waren, hatte gleich 3 ähnliche Zimmer im Angebot – allerdings durchgehend Bewertungen, die keine guten Worte über den allgemeinen Innenraumzustand zum Inhalt hatten. Zeit, in den saueren Apfel zu beißen: Trivago starten, Hotel suchen. Zu meiner Überraschung fand ich auch ein solches in Charleroi – das ist die drittgrößte Stadt Belgiens, von der weder ich, noch mein Vater, mit dem ich telefonierte, je etwas gehört haben. Sogar ein Flughafen ist dort.

Buchen, Kreditkartendaten eingeben, Erna zur Navigation anweisen, losfahren. Etwa eine halbe Stunde später war ich in Charleroi. Check-in (ein furchtbares Wort!) auf Englisch, Parken entweder im Parkhaus – dann aber bitte um 9 wegfahren – oder draußen auf der Straße, gegen Gebühr. Ich zahlte also zähneknirschend die Gebühr am Parkautomaten, da ich erst um 12 abreisen musste – was soll ich da um 9 wegfahren müssen, zumal ich kein Frühstück für 13 Euronen gebucht habe.

Zu meiner Überraschung darf ich nur für zwei Stunden zahlen. Ich hätte gern mehr Geld reingeschoben, aber das wollte der Automat nicht. Bis 9 Uhr früh parkt man sowieso kostenfrei, das konnte ich fpr 3,50€ auf 11:00 verlängern – mehr ging nicht. Egal, elf ist besser als neun.

Auto ausräumen, auf in den fünften Stock – dort dankenswerterweise ein Zimmer mit Badewanne, Klimaanlage, deutschen TV-Programmen, WLAN und einer Hotelsafe-Anleitungen, aber keinem Safe. Letzteres war verschmerzbar, musste aber zwangsläufig kommentiert werden. Dafür, dass ich lediglich 49 Euro inklusive Bettensteuer für das Zimmer gezahlt habe, war ich sehr zufrieden.

Ein paar Fotos aus der Einkaufsmeile von Charleroi sind in der folgenden Galerie zu bewundern. Geschossen habe ich sie auf dem Weg zum Fastfoodrestaurant, dass mein Abendmahl stellen sollte – und dann anschließend im Hotel auf den Rechner kopiert. Die weitere Fotoverarbeitung blieb dann auch fast die einzige Tätigkeit, die ich an dem Abend verrichtete – ein Kunde schrieb mich noch an, ob ich spontan eine Kleinigkeit richten könne. Kurz erledigt, Fotos sortiert, Klimaanlage an, gute Nacht.

Huch, ach ja – die Karte ist diesmal am Ende der Galerie. Gepunktet eingezeichnet ist der wunderschöne Waldweg, soweit ich das auf Google Earth richtig gesehen habe. Könnte auch länger gewesen sein, als eingezeichnet. Oder kürzer. Oder woanders.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2024 ungesund photographie | lucas garte

Impressum | Datenschutz